Die Genossenschaft Grüner Weiler setzt im Oxford-Quartier ihr erstes Wohnprojekt, W1OXF, Weiler 1, um. 
(Foto: © Kopfkunst / Alina Kohn)
20. November 2023 | Oxford-Quartier

VIEL MEHR ALS NUR WOHNRAUM

Seit rund zehn Jahren plant die Genossenschaft Grüner Weiler ihr Wohnprojekt „Weiler1 Oxford“ im Oxford-Quartier. Nun wird es ernst: Im Juni starteten die Bauarbeiten. Acht Mitglieder berichten von ihren Beweggründen, Teil dieses Projekts zu werden, und davon, was es bedeutet, genossenschaftlichen Wohnraum für 250 Leute zu planen.

„Wir bauen eine Idee“, fasst es Sigrid Bürger zusammen und erklärt: „Bei konventionellen Baugruppen tun sich Leute zusammen, die gemeinsam ihre eigenen, oft individuellen Wohnungen bauen wollen. Wir hingegen haben uns zusammengetan, weil wir eine Idee für das Wohnen der Zukunft entwickeln wollten: eine Zukunft, in der Ökologie und Solidarität die tragenden Rollen spielen. Niemand diskutiert bei uns über die eigene Wohnung.“

 

Dynamischer Gründungsprozess

An die Gründung der Initiative erinnert sich Henner Buchmann: Als sich die britischen Streitkräfte 2013 zurückzogen und die Stadt Münster einen Bürgerdialog anstieß, waren es anfangs nur drei Paare, die sich mit dem vagen Ziel zusammenschlossen, ein gemeinsames Wohnprojekt zu starten. Schnell wurde klar, dass sie den Nerv der Zeit getroffen hatten: 2016 fanden sich zur Gründung der Genossenschaft bereits 77 Mitglieder. „Aktuell sind es 450 Menschen, die durch ihre Mitgliedschaft zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind!“ betont Henner Buchmann.

Henner Buchmann (Vorstand)

„Ich war damals gemeinsam mit meiner Frau bei einer Informationsveranstaltung zum Oxford-Gelände. Meine Frau war direkt vom Virus „Grüner Weiler“ infiziert und ging seitdem jeden Monat zum Weiler-Plenum im La Vie. Irgendwann habe ich sie dann mal aus Neugier begleitet – und als es dann ernst wurde mit der Gründung der Genossenschaft, war auch ich so infiziert, dass ich mich direkt in den Vorstand wählen gelassen habe.“

 

Generationenübergreifend für mehr als 250 Menschen

132 Wohneinheiten – davon 70 öffentlich gefördert – mit über 1000 Quadratmetern Gemeinschaftsfläche, dazu eine Pflege-WG mit neun Plätzen, Co-Working-Space und Infrastrukturräume für das Quartier: Weiler1 Oxford gehört deutschlandweit zu den größten genossenschaftlichen Projekten seiner Art. „Wir haben uns viele Wohnprojekte im deutschsprachigen Raum angeschaut und gelernt, dass unsere Idee nur generationenübergreifend und in einer gewissen Größenordnung funktionieren wird. Vergleichbare Projekte in Deutschland gibt es in Berlin und in München; in Nordrhein-Westfalen sind wir mit Abstand die größte Genossenschaft“, berichtet Buchmann.

 

Sabine Kittel (Vorstand)

„Mich hat von Anfang an interessiert, wie ein Zusammenleben so vieler Menschen funktionieren kann. Deshalb bin ich über die AG Gemeinschaft eingestiegen, die sich von Beginn an mit dem Thema auseinandersetzt. Wir versuchen, alle so viel wie möglich an den Entwicklungs- und Entscheidungsprozessen zu beteiligen; aber es braucht auch Menschen, die dann im Zweifel den Kopf dafür hinhalten. Als dann ein neues Vorstandsmitglied gesucht wurde, habe ich gesagt: Okay, ich mach’s. Es macht neben aller Verantwortung und Arbeit viel Spaß und fühlt sich sehr befriedigend an, so ein großartiges Projekt mit so vielen tollen Leuten zu verwirklichen.“

 

Gemeinsam und solidarisch die Kosten tragen

Die zukünftigen Bewohner:innen selbst bringen durch den Erwerb von Geschäftsanteilen das für den Bau notwendige Eigenkapital auf: frei finanziert 1500 €/m2, gefördert mit Wohnberechtigungsschein B 1000€/m2 oder 700€/m2 mit Wohnberechtigungsschein A. „Damit wird jeder, der einzieht, quasi zum Miteigentümer für die Zeit, in der er oder sie im Projekt wohnt. Bei Auszug übernimmt der oder die nächste die Genossenschaftsanteile. So entziehen wir Wohnraum der Spekulation,“ erklärt Sigrid Bürger und ist überzeugt: „Wohnen ist ein Grundbedürfnis. Damit sollten nicht die einen reich werden, während es anderen fehlt.“ Nicht jeder hat das Geld für die notwendigen Geschäftsanteile. Deshalb gibt es einen Solidarfonds: Finanziell besser gestellte Mitglieder übernehmen mehr Geschäftsanteile, damit andere weniger oder keine Geschäftsanteile übernehmen müssen. „Natürlich müssen wir auch alle Miete zahlen“, fügt Sabine Kittel hinzu: „Denn Tilgung, Zinsen und laufende Kosten müssen finanziert werden. Aber auch an den Mieten wird niemand verdienen. Sie werden immer genau an die aktuellen Kosten angepasst.“

 

„Ich bin seit 2017 in der Steuerungsgruppe. Die bestand damals aus sieben Leuten und trifft sich bis heute einmal in der Woche – ohne Sitzungspause auch in den Ferienzeiten, meistens für zwei bis drei Stunden, oft länger, selten kürzer. Das hält man – neben all den anderen Weiler-Terminen – so viele Jahre lang nur durch, wenn man sich gut versteht und Strategien entwickelt, auch bei unterschiedlichen Meinungen für alle gangbare Wege zu finden. Ja, wir sind ein wirklich gutes Team und wir alle brennen für das Projekt. Viele Jahren lang war der Weiler für uns nur eine Vision. Jetzt rollen die Bagger. Das ist ein unbeschreiblich gutes Gefühl!“

 

Sigrid Bürger

 

 

Wenn Verzicht zu Luxus führt

Ein großes Wohnzimmer mit Kamin, Kinder-Spielzimmer, eine professionell eingerichtete Küche mit Speiseraum, Wellnessbereich mit Sauna, Fitnessgeräten und Meditationsraum, Textilatelier, Fahrrad- und Holzwerkstatt, Gästezimmer, ein Jugendraum im Keller, Pocket-Park und Dachgarten: In Weiler1 wird es Gemeinschaftsflächen ohne Ende geben. Das Prinzip dahinter erklärt Buchmann: „Weil unsere Wohnungen kleiner sind als anderswo, können wir uns viele tolle Gemeinschaftsräume leisten. Sozusagen Luxus für alle.“ Die Größe des Projekts hat einen weiteren Vorteil: „Bei der Menge an Leuten ist es nicht schlimm, wenn nicht jeder überall mitmischt“, erklärt Monique Massin: „Es gibt Leute, die kümmern sich um die digitale Ausstattung, andere um Gemeinschaftsräume und wieder andere veranstalten ein Boule-Turnier“. „Grundsätzlich besteht aber keine Pflicht, sich am Gemeinschaftsleben zu beteiligen. Und man muss auch nicht jeden mögen“, ergänzt Sigrid Bürger lachend.

 

„Ich bin noch ganz neu dabei. Ich hatte immer mal wieder von Grüner Weiler gehört. Im April war ich dann mit meinem Mann bei einer Informationsveranstaltung – und seit ein paar Wochen sind wir Mitglied. Wir möchten erst in den Weiler einziehen, wenn unsere Kinder aus dem Haus sind. Unser Haus ist nicht altersgerecht und wir können es auch nicht gut mit unserem Gewissen vereinbaren, zu zweit in einem Familienhaus zu wohnen. Deshalb wollen wir dann in eine kleinere Wohnung in den Grünen Weiler einziehen. Uns ist klar, dass dann natürlich erst etwas frei werden muss, aber wir haben ja keinen Druck. Weil wir nur ein paar hundert Meter vom Weiler entfernt wohnen, bin ich jetzt schon aktiv dabei, lerne so unsere zukünftigen Nachbarn kennen – und im besten Fall ziehen wir dann zu Freunden.“

 

Susanne Severin

 

Wohnen der Zukunft

Dass es neue attraktive Wohn-Konzepte für ein solidarisches Zusammenleben braucht, davon ist Bürger überzeugt: „Heutzutage arbeiten beide Elternteile, wechselnde Jobs erfordern Flexibilität, die Kinder sind ganztägig in Schule und Kita und alle suchen nach ihrer Work-Life-Balance. Wer will sich dann tatsächlich noch um ein Anwesen kümmern, das im Grunde nur wenig genutzt wird? Unser Modell passt da viel besser. Zu neuen Lebensentwürfen gehören auch neue Wohnkonzepte.“

 

Generationenübergreifende Solidarität

Geplant ist ein Wohnungsmix mit Apartments für ein oder zwei Personen, Wohnungen für kleine und große Familien, Cluster-Wohnungen für familienübergreifende Wohngemeinschaften und eine Pflege-WG. „So profitieren die Alten von den Jungen und die Jungen von den Alten. Alleinlebende profitieren von der Gemeinschaft. Familien werden von Alleinlebenden unterstützt. Wir bauen unser Dorf in der Stadt“, so Henner Buchmann, „denn wir können die Probleme von heute und morgen – wenn überhaupt – nur solidarisch lösen.“

 

Michaela Schmühl mit Juri

„Das Projekt wird für uns nur durch den genossenschaftlichen Aspekt möglich. Anderes Eigentum können wir uns nicht leisten. Wir ziehen in eine Cluster-Wohnung mit neun Erwachsenen und zwei Kindern. Jeder hat eigene Rückzugsräume, und alle teilen sich zwei Wohnzimmer und eine große Wohnküche. Ich finde es total schön, dass so viele Kinder in den Weiler einziehen. Juri hat dann nicht nur uns als Bezugspersonen, sondern auch andere Erwachsene und Kinder. Die Vorstellung, dass die Kinder zusammen das ganze Gelände vom Spielzimmer bis zum Garten erobern können und überall auf Menschen treffen, die sie kennen und die alle ein Auge auf sie haben, finde ich ziemlich cool.“

 

Ökologische Aufwertung 

Nachhaltiges Baumaterial, Photovoltaik und Dachbegrünung, Erdwärme und Regenwassernutzung, dazu ein sparsamer Ressourcenverbrauch durch nur durchschnittlich 33 qm Wohnfläche pro Person inklusive der Gemeinschaftsräume zeigen die ökologische Ausrichtung des Projektes. „Und vergessen Sie nicht den 2000 qm großen Pocket-Park im Innenhof.“ Bürger zeigt auf die Mitte des Grundstücks. „Stellen Sie sich mal vor, dass da früher eine Tankstelle mit Panzerwaschanlage war. Wenn das keine ökologische Aufwertung ist!“

„Ich hatte schon lange die Idee, mit mehreren Parteien mehrgenerationenmäßig zusammenzuwohnen. Aber ich hätte mir damals nicht vorstellen können, dass man sowas mit so vielen Leuten machen kann. Jetzt bin ich seit vier Jahren Mitglied und finde, dass der Grüne Weiler genau die richtige Größe hat. Mir gefällt auch das Gesamtkonzept des Oxford-Quartiers sehr gut: die Idee mit den Innenhöfen, die soziale Durchmischung, das Regenwasserkonzept. Ich ziehe mit meinen beiden Kindern, die heute 10 und 14 sind, ein. Wir haben uns mit drei anderen Erwachsenen zusammengetan, die wir erst über den Grünen Weiler kennengelernt haben und werden zu fünft eine Clusterwohnung beziehen. Meine Tochter, die dann fast 16 ist, bekommt ein Jokerzimmer direkt nebenan: Das ist ein Apartment mit eigenem Eingang, mit Bad, aber ohne Kochmöglichkeit. Sie hat also eine gewisse Selbstständigkeit, nimmt aber noch am Familienleben teil. Das Praktische für mich: Wenn sie später auszieht, gebe ich das Jokerzimmer zurück. Ich zahle weniger Miete und andere können es nutzen.“

 

Monique Massin

 

Organisieren, mitreden, gestalten

Die AG Garten sucht schon nach Pflanzen für den Garten, während sich die AG Gemeinschaft mit gewaltfreier Kommunikation auseinandersetzt und die Kulinariumsgruppe nach Finanzierungsmöglichkeiten für die Köchin sucht, die das gesunde Essen aus Bio-Zutaten auf den Tisch bringen soll. Die AG Nachhaltige Digitalisierung hat eine Baustellen-Kamera installiert, sodass alle Mitglieder den Baufortschritt live verfolgen können. Die AG Mobilität plant bereits die Vergabe der 500 Fahrrad- und 25 Autostellplätze sowie das Car- und Fahrrad-Sharing. „Aktuell gibt es viele Gruppen, die sich mit dem zukünftigen Zusammenleben beschäftigen“, berichtet Bürger. Währenddessen kümmern sich Vorstand, Steuerung und Baukommission darum, dass es mit dem Bau vorangeht. „Im Vorstand muss man entscheidungs- und auch ein bisschen risikofreudig sein“, meint Buchmann. „Und ein bisschen visionär“, ergänzt Kittel.

 

Stefanie Schüer

„Ich wohne aktuell in einer Wohnanlage mit sechs Parteien. Weil es dort wenig nachbarschaftliches Leben gibt, bin ich schon 2017 Mitglied im Grünen Weiler geworden. Im letzten Jahr habe ich die Zusage für eine Wohnung bekommen. Jetzt plane ich mit an unserem Wellness- und Fitness-Bereich und bin aktiv im Kurbelbox e.V., weil mir eine gute Nachbarschaft mit den Menschen in Gievenbeck wichtig ist. Durch meine Arbeit im Sportverein weiß ich, dass es in Gievenbeck zu wenig Räume für Sportangebote gibt. Deshalb finde ich gut, wenn in Zukunft dafür auch unser Veranstaltungsraum genutzt werden kann. Ich freue mich sehr auf das Leben so nah am Grünen Trichter und direkt dahinter am Grünen Finger: Da ist viel Natur mit vielen Möglichkeiten für Spiel und Sport. Die Lage ist einfach toll. Auch für die vielen Weiler-Kinder, die einen wunderschönen Schulweg zur Grundschule haben werden.“

 

Reiner Kuhn

„Wir haben damals die Genossenschaft mit Leuten gegründet, die im Durchschnitt deutlich über 50 waren. Deshalb hatten wir zeitweise sogar einen Aufnahmestopp für ältere Leute. Je näher der Baubeginn aber rückte, umso mehr junge Familien kamen, die gerne mit anderen Familien zusammenleben wollen und wohl auch bewusst nach Wahl-Omas und -Opas suchen. Älteren Menschen droht heutzutage ein Lebensabend in Einsamkeit: Die Kinder sind irgendwo in der Welt, der Lebenspartner stirbt, der Freundeskreis schrumpft und dann kommt irgendwann nur noch morgens der Pflegedienst, mittags das Essen auf Rädern und abends jemand, der dich ins Bett schickt. Eine schreckliche Vorstellung! Ich habe nach einer besseren Perspektive gesucht – und den Grünen Weiler gefunden: Alt werden mit Freunden, die sich gegenseitig anregen und unterstützen und so gemeinsam länger fit bleiben. Und für alle Fälle gibt es dann im gewohnten Umfeld die Pflege-WG.“

 

Reiner Kuhn freut sich über die Sonnenstrahlen, die an diesem Nachmittag auf das geplante Quartiersplätzchen am Kiez-Treff fallen: „Wenn mal wieder mein Licht am Fahrrad kaputt ist, kann ich es vor der Fahrradwerkstatt in der Sonne reparieren – großartig!“ Sigrid Bürger schließt sich ihm lächelnd an: „Sie merken: Wir freuen uns alle auf unser neues Zuhause!“

 

Demokratische Organisation

Genossenschaften haben eine feste Organisations- und Entscheidungsstruktur, die durch die Satzung konkretisiert und durch Vorstand, Aufsichtsrat und Generalversammlung realisiert wird. Inspiriert von der sogenannten soziokratischen Kreismethode gibt es in der Grüne Weiler eG jenseits dieser Struktur Möglichkeiten für alle Mitglieder, sich an der Entwicklung des Projektes zu beteiligen:

Zimmer gesucht?
Auf der Webseite der Grüner Weiler eG wird tagesaktuell angezeigt, welche Wohnungen noch frei sind.
Mehr Informationen auf: www.gruener-weiler.de

 

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Zum Teilquartier A

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Die Genossenschaft Grüner Weiler setzt im Oxford-Quartier ihr erstes Wohnprojekt, W1OXF, Weiler 1, um. (Foto: © Kopfkunst / Alina Kohn)
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